
Hannoversche Allgemeine Zeitung
Im Bistro Adesso in der List kann die Speisekarte sprechen: Wer darauf hört, fährt gut. Eine Restaurantkritik von Ralf Heußinger.
Hannover.
Es ist fünf vor zwölf in der List. Wer jetzt einen Tisch für das Mittagessen sucht, hat gute Karten – etwa im Adesso. Wir haben die freie Wahl, suchen uns in dem leeren Bistro einen Platz am Fenster, und die Betreiber Marcella und Bernardo Locacciato haben sogar Zeit, um zu diskutieren, wer uns die Tagesempfehlungen nahebringt. Schließlich kommt der Herr des Hauses, und als er fertig ist, als er ausführlich von schöner Salsiccia, von Austernpilzen, von seinem Olivenöl und den Chilischoten, mit denen die Gerichte abgeschmeckt werden, berichtet hat, als die Glocken der nahen Markuskirche geläutet haben – da ist der Laden plötzlich voll. Was wenige Minuten so ausmachen können. In der List wird offenbar pünktlich gegessen, und im Adesso noch dazu gut.
Die Locacciatos
haben ihr italienisches Tagesbistro vor sechs Jahren eröffnet und sich seitdem den Status einer Institution erarbeitet. Dabei kann man das kleine Restaurant an der Ecke Lister Straße/Ferdinand-Wallbrecht-Straße leicht übersehen. Der Schriftzug „Adesso“ strahlt zwar bunt und die Fenster tragen die italienischen Nationalfarben, doch die Fassade wirkt unscheinbar. Ein Allerweltslokal? Keineswegs. Hinter der Tür begegnet einem die reine Herzlichkeit. Auch unbekannte Gäste werden wie Freunde begrüßt und schnell geduzt. Die Atmosphäre in einem Lokal ist ja meist die halbe Miete.
Eine Entdeckung auf den zweiten Blick also – so wie die zwei Schwarz-Weiß-Fotografien einer sizilianischen Straßenszene an der Wand neben dem Weinregal. Man muss schon zweimal gucken, um zu erkennen, dass dort Claudia Cardinale ganz beiläufig, fast verschüchtert über eine Kreuzung spaziert, während sich im Hintergrund italienische Männer staunend zusammenscharen.
Aus Sizilien stammen auch die Locacciatos. Von dort habe er Minze mitgebracht, berichtet der Chef. Damit könne man doch schön die Spaghetti mit Zucchini und Garnelen würzen. Oder wie wäre es mit verschiedenen gebratenen Gemüsen –, Paprika, Broccoli, Zucchini – abgeschmeckt mit Fenchelsamen zur Pasta? Natürlich mit gutem Olivenöl – Locacciato kommt jetzt richtig in Fahrt. Und etwas Chili? Aber gern. So geht das im Adesso: Die Speisekarte hält zur Sicherheit Bolognese und Carbonara bereit, doch der Chef verrät, was die Küche wirklich hergibt. „Man nennt mich die sprechende Speisekarte“, sagt er und gibt die Rezepte preis, nach denen seine Schwiegermutter Rosalia in der Küche kocht.
Wir folgen den Empfehlungen (jeweils 9,90 Euro) und liegen richtig. Für süditalienische Verhältnisse ist die Pasta zwar etwas weich, doch das Gemüse ist frisch, etwas Knoblauch durchzieht die Soße, der Chili schärft auf angenehme Art und Fenchel beziehungsweise Minze verleihen den Gerichten Pep. Ein anderes Mal lassen wir uns zu Pasta mit Salsiccia, der italienischen Bratwurst (10,50 Euro), und Spaghetti mit Austernpilzen (9,90 Euro) hinreißen und sind ebenso zufrieden.
Aus der Feinkosttheke kommen zudem Käse und Schinken. Der Teller mit Bresaola (7,90 Euro) ist angerichtet mit Rucola, Olivenöl, etwas Stangensellerie und Parmigiano und ergibt so eine frische Vorspeise. Der Schinken vom Aufschnittteller (7,90 Euro) hat uns dagegen weniger begeistert, die Fenchelsalami dazu schon. Und die Tomatensuppe (3 Euro) war fruchtig und lecker, aber zu reichhaltig und dick geraten.
Pasta steht im Zentrum im Adesso, doch ein- oder zweimal in der Woche kommt auch Fleisch auf den Tisch, etwa gebratene Schweinemedaillons oder Gulasch – im Mittagsmenü mit Suppe zum Preis von 6,90 Euro.
Von Ralf Heußinger